Der Pflegebericht für Niedersachsen brachte Erschreckendes – aber nicht Unerwartetes – zu Tage: um die Pflege im Land ist es nicht gut bestellt. Aber nicht nur der Pflegebericht, sondern auch die zahlreichen Berichte der Mitarbeiter im Gesundheitswesen zeigen:
#PflegeBrennt #MedizinBrennt
Das Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen: Fachkräftemangel in nahezu allen Professionen, Investitionsstau, Fehlallokation finanzieller Mittel, zunehmende Bedarfe, steigende Kosten und vieles mehr belasten es immer mehr und gefährden die Versorgung der Bevölkerung.
Kleinere Korrekturen werden nicht reichen – es braucht einen kompletten Neustart!
Nur wenn wir „größer“ denken und zukünftig
- alle Bereiche und Berufsgruppen einbeziehen
- mehr Prävention ermöglichen
- die Vermeidung von Erkrankung und Pflege in den Fokus stellen
- das Finanzierungssystem nicht auf Quantität sondern Qualität ausrichten
werden wir noch eine letzte Chance erhalten, auch zukünftig eine sichere, krisenfeste und bezahlbare Gesundheits- und Pflegeversorgung zu bekommen!
Gesundheit und Klimaschutz
Der Klimawandel bedroht auch unsere Gesundheit. Extreme Temperaturen erfordern Hitzeschutzkonzepte sowohl für die allgemeine Bevölkerung, als auch für besondere Gruppen wie Senioren, Pflegebedürftige in den Einrichtungen, Obdachlose oder Arbeitnehmer in besonders belasteten Berufen. Es reicht aber nicht, diese Konzepte zu erstellen und dann in die Schublade zu legen, es müssen auch Voraussetzungen geschaffen werden, dass diese auch umgesetzt werden können. Es braucht also finanzielle Mittel und personelle Ressourcen – für städtebauliche Maßnahmen, für Wärmeschutz in Gebäuden, aber auch für Beratung und Aufklärung.
Langzeitversorgung
Allerorts fehlen für die Langzeitversorgung Heimplätze, ambulante Versorgungsmöglichkeiten und Angebote für Pflegebedürftige und Angehörige. Die Auslastung der ambulanten Pflegedienste ist hoch, Anfragen müssen regelmäßig abgelehnt werden. Stationäre Pflegeeinrichtungen sind mit Belegungsquoten von bis zu 98% voll ausgelastet und arbeiten mit Wartelisten. Wenngleich die Anzahl der Beschäftigten in der Pflege stetig steigt, so handelt es sich doch zumeist um Hilfskräfte, oft ohne Ausbildung. Ausbildungsplätze bleiben hingegen teilweise unbesetzt – sowohl bei der dreijährigen Fachkraftausbildung als auch bei der zweijährigen schulischen Assistenzausbildung. Erschwerend kommt eine hohe Abbrecherquote währende der Ausbildung hinzu, die zwischen 28 und 35 % liegt. Der Mangel an Fachkräften ist bereits jetzt eklatant und wird sich bedingt durch den Nachwuchsmangel und einer aufgrund des Altersdurchschnitts der Fachkräfte erwartbar hohe Anzahl von Renteneintritten weiter verschärfen.
Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht. Selbst wenn kurzfristig neue Pflegeplätze geschaffen werden, so sind diese nicht ohne weiteres betreibbar, da es an entsprechenden Fachkräften fehlt. Erstes Ziel muss es also sein, nicht unreflektiert die Versorgungskapazitäten zu erhöhen, sondern diese sinnvoll zu planen und umzusetzen und den Fokus vor allem auf Prävention zu legen.
Barrierefreie Ortskerne, bedarfsgerechte Mobilität, leicht erreichbare Beratungs- und Informationsangebote durch Pflege-Koordinatoren vor Ort, niedrigschwelliger Zugang zu Rehabilitations- und Präventionsmaßnahmen, digitale Assistenzsysteme und Netzwerke für Unterstützungsleistungen sorgen dafür, dass Pflegebedürftige jeden Alters so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden führen können. Eine zusätzliche Vorortung von mobilen Pflegediensten direkt in den einzelnen Ortsteilen sorgt nicht nur für eine Reduzierung der Fahrtzeiten, sondern bietet den Mitarbeitern die Möglichkeit, Strecken mit dem Rad zu bewältigen. Im Bereich der stationären Versorgung muss die Finanzierung auf kleinere spezialisierte Einrichtungen statt großer Renditeobjekte ausgelegt werden.
Krankenhäuser
Ein ähnliches Bild wie in der Langzeitpflege zeichnet sich auch im Bereich der Krankenhausversorgung ab: zwar wurden in den vergangenen Jahren Betten reduziert, die Zahl der behandelten Patienten blieb aber gleich. Kürzere Liegezeiten und eine gleichbleibend sehr hohe Auslastung führen auch ohne die zusätzliche Belastung durch die Corona-Pandemie zu einer erhöhten Arbeitsbelastung des Krankenhauspersonals – sowohl im pflegerischen als auch im medizinischen Bereich. Zwar stehen ausreichend Betten zur Verfügung, ohne ausreichend Personal zur Versorgung der darin liegenden Patienten sind diese aber nutzlos. Die auf Bundesebene geplante PPR2.0 – Regelung, die feste Personalschlüssel vorgibt, bleibt ebenso wie die Pflegepersonaluntergrenzen wirkungslos, solange (mögliche) Sanktionen weniger Kosten verursachen, als Gewinne durch eine Überbelegung erzielt werden. Nur eine Reduzierung der Arbeitsbelastung wird die derzeit zu beobachtende Berufsflucht der Pflegekräfte und Ärzte aufhalten. Eine Neuausrichtung der Finanzierung mit Übernahme von Vorhaltekosten ist nicht ausreichend, solange eine operative stationäre Versorgung deutlich gewinnträchtiger ist, als eine ambulante oder konservative therapeutische Behandlung. Der ambulante Sektor muss daher deutlich gestärkt werden, die regionalen Gesundheitszentren sind dazu ein wichtiger Baustein – wenn alle Professionen im Gesundheitswesen eingebunden werden. Gerade in den ländlichen Regionen Niedersachsen sehen wir einen zunehmenden Ärztemangel, der nur durch teamorientierte, sektoren– und professionsübergreifende Konzepte kompensiert werden kann. Dazu brauchen wir eine (finanzielle) Sicherstellung der Therapieberufe und die Einbindung pflegerischer Kompetenz, etwa durch Community Health Nurses.
Gesundheit durch Pflegekompetenz
Gut qualifizierte Pflegekräfte und eine gute Fachkraftquote können die Gesundheit der ihnen anvertrauten Patienten erhalten und verbessern. Zahlreiche Krankenhauseinweisungen könnten vermeiden werden, wenn in den Einrichtungen der Langzeitpflege und in der ambulanten Pflege mehr Kompetenzen und Ressourcen vorhanden wären. Es kann nicht sein, dass Bewohner zum Katheterwechsel, aufgrund von Wundliegen, unzureichender Flüssigkeitszufuhr oder zum Sterben in ein Krankenhaus gefahren werden. Durch eine qualifizierte Pflege können Folgeschäden – und damit auch Folgekosten – deutlich reduziert werden. Auch bei der Versorgung durch Angehörige kommt es immer wieder zu Problemen, wenn diese nicht bei der Pflege durch professionelle Pflege begleitet und geschult werden oder auch zeitweise entlastet werden.
Pflegekraftmangel
Woher kommen die dringend benötigten Pflegekräfte?
Vorschläge gibt es genug, sie müssen aber auch umgesetzt werden. Um die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf zu verbessern, sind Kreise und Kommunen in Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern gefordert, Lösungen in den Bereichen Mobilität und Kinderbetreuung zu entwickeln, die Arbeitgeber müssen flexible Arbeitszeitmodelle anbieten. Den hohen Abbruchquoten in der Ausbildung muss dringend etwas entgegengesetzt werden, die Auszubildenden müssen auch tatsächlich ausgebildet und nicht als Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Zweijährig ausgebildete Pflegeassistenten sind gut geeignet, Fachkräfte zu entlasten, leider fehlen auch hier Bewerber, was unter anderem auf eine fehlende Ausbildungsvergütung zurückzuführen ist, dabei sollten zumindest die Praktikumseinsätze angemessen entlohnt werden. Vor allem aber muss der Beruf wieder attraktiver werden, dazu gehört auch eine angemessene Vergütung, es darf nicht sein, dass aktuell 10% der Pflegefachpersonen mehrfachbeschäftigt sind. Aber auch eine höhere Handlungsautonomie, eigenverantwortliches Arbeiten, hochwertige Fort- und Weiterbildungsangebote und die Reduzierung von unnötiger Bürokratie sind zwingend erforderlich.
Fachkräfte aus dem Ausland
Sind Fachkräfte aus dem Ausland eine Lösung?
Fachkräfte aus dem Ausland sind auf jeden Fall nicht nur notwendig, sondern auch ein Gewinn für die Unternehmen. Zudem profitieren auch die Patienten von einer Diversität im Team. Aber gerade für kleinere Einrichtungen ist es mit einem enormen Aufwand verbunden. Auch fehlt es in gerade im ländlichen Raum an Angeboten sowohl für die berufliche als auch die soziale Integration, dieses ist auch daran zu erkennen, dass die Quote der Fachkräfte aus Drittstaaten in Ballungsregionen wie Hannover deutlich höher liegt als im Rest des Landes. In diesem Kontext darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass ausländische Pflegekräfte in der Regel mindestens auf Bachelor-Niveau (EQR 6) qualifiziert sind und sich dennoch auf das deutsche Ausbildungsniveau (EQR 4) „herabqualifizieren“ müssen, um eine Anerkennung zu erhalten.